„Atme ein, Atme aus“

Was heißt denn eigentlich Achtsamkeit? Letztens habe ich einen Artikel gelesen, der begann mit dem Satz. „Achtsamkeit ist in aller Munde.“ Ja das stimmt. Die ganze Welt spricht über Achtsamkeit. Aber nur wenige haben es verinnerlicht. Achtsamkeit gehört nicht in aller Munde, sondern in unseren Geist. Wenn wir nur über Achtsamkeit sprechen, verändert sich nichts. Achtsamkeit ist eine Form der Bewusstwerdung, eine bewusste Lenkung der Aufmerksamkeit von außen nach innen.

Und vor allem ist die Lehre der Achtsamkeit keinesfalls ein neuer Trend. Buddha lehrte in der Satipatthana Sutta die “vier Grundlagen der Achtsamkeit“. Achtsamkeit auf den ganzen Körper, Achtsamkeit auf die Empfindungen, Achtsamkeit auf den Geist in wechselnden Stimmungen, Achtsamkeit auf wechselnde Inhalte im Geist.

 

In der Yogapraxis heißt das. Du übst. Du atmest. Du denkst und fühlst. Und nicht dein Körper macht etwas und dein Geist beschäftigt sich mit dem was dein Nachbar auf seiner Matte macht und deine Atmung ist auch irgendwie dabei, aber eigentlich weißt du es nicht genau, weil du sie nicht spürst.

Wenn Du dich in Achtsamkeit übst, dann wird es dir anfangs vielleicht schwer fallen nur einen bewussten Atemzug zu nehmen. Die Einatmung in seiner ganzen Länge zu erfahren, die Atemfülle zu spüren, die Ausatmung zu beobachten und die Atemleere am Ende der Ausatmung. Und was da noch alles Wunderbares geschieht, wenn wir nur einen Atemzug nehmen.

 

Versuche es doch gleich einmal! Atme ein und begleite die Einatmung mit dem Satz „Jetzt atme ich ein“ und spüre alles was du dabei wahrnimmst, die kühlere Luft an deinen Nasenflügeln, die Luft wie sie durch deinen Brustkorb strömt und ihn weitet, deine Lungen füllt und deinen Körper belebt. Und vielleicht gibt es dann eine kleine Pause, bevor ohne dein aktives Zutun die Ausatmung beginnt und du sie innerlich begleitest mit dem Satz „Jetzt atme ich aus“ über die volle Länge. Du spürst wie dein Körper Verbrauchtes abgibt, loslässt, der Brustkorb wieder etwas einsinkt und vielleicht spürst Du sogar eine etwas wärme Luft an den Nasenflügeln, die nun wieder ausströmt. Nur einen Atemzug versuche diese Konzentration zu halten und wenn es dir gelingt, nimm einen zweiten. Du betrachtest jeden Atemzug voller Neugier, als wenn du zum allerersten Mal atmest und du es gar nicht erwarten kannst, zu spüren wie es sich anfühlt. Zu spüren und fühlen und nicht zu denken. Das ist Achtsamkeit.

 

Oft werde ich im Unterricht gefragt, ob ich eine Haltung nicht korrigieren könnte. Das ist eine berechtigte Frage, weil wir Menschen alles richtig machen wollen. Wir wollen etwas gut machen. Und alle meine Teilnehmer können sich sicher sein, dass ich eingreifen werde, wenn ich sehe, dass sich jemand verletzen wird oder seinem Körper schadet. Allerdings geht es in meinem Unterricht darum, selbst zu spüren und zu fühlen. Spüren und nicht denken. Wie fühlt sich diese Übung denn eigentlich an? Kann es sich besser anfühlen, wenn ich etwas verändere? Atme ich regelmäßig oder halte ich die Luft an? Was passiert wenn ich meine Atmung vertiefe? Was macht mein Geist? Mit welchen Gedanken beschäftigt er sich? Ist ihm langweilig, weil ihn das ständige Beobachten nervt? Und kann ich selbst diesen Gedanken wertfrei beobachten? Und so weiter und so weiter. Es gäbe unzählige Fragen, die du dir selbst stellen kannst auf allen Ebenen von Körper, Atem und Geist. Die Frage sollte jedoch an dich selbst gehen und nicht an einen Dritten, der dir sagt, was vermeintlich falsch oder richtig ist. Nicht mein Körper, nicht meine Frage, könnte da eine wohlwollende Antwort eines Lehrers lauten. Als Lehrer im achtsamen Yoga ist es ratsam die Teilnehmer in die Eigenverantwortung zu führen, in die Selbstfürsorge und in die eigene Wahrnehmung. Mit dem Hinweis, dass alles da sein darf was sich zeigt. So kann sich ein gesundes Bewusstsein auf allen Ebenen freundlich entwickeln. Es ist also nicht entscheidet was du übst, sondern wie du übst.

 

Achtsamkeit ist eine Momentaufnahme. Das bewusste Wahrnehmen des gegenwärtigen Augenblickes. Und wenn wir das tun, kann jeder Augenblick zu einem echten Erlebnis werden. Ob nun im Yogaunterricht, in Alltagshandlungen wie zum Beispiel beim Zähneputzen oder in Gesprächen mit Kollegen oder der Familie oder mit den Angestellten an der Kasse im Supermarkt.

Der buddhistische Mönch und Schriftsteller Thich Nhat Hanh beschreibt es so.

„Unser wahres Zuhause ist der gegenwärtige Augenblick. Wenn wir wirklich im gegenwärtigen Augenblick leben, verschwinden unsere Sorgen und Nöte und wir entdecken das Leben mit all seinen Wundern“.

 

Text: Kerstin Mattmüller